ANGST

Ende 2021                                                                          ©Text Damian Bugmann 2021

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Asymmetrischer Konflikt und instrumentalisierte Angst

Geschehnisse in Israel beschäftigen immer wieder die Weltöffentlichkeit. Der israelisch-deutsche Professor und Publizist Moshe Zuckermann analysiert den Konflikt politisch, historisch und psychoanalytisch ausgehend von Ängsten und deren Instrumentalisie-
rung durch rechtszionistische Ideolog*innen und den Staat Israel.

Die israelische Propaganda macht eine existenzielle Gefahr aus, die von der arabischen Welt ausgehe und schürt damit bei Israelis die Angst um ihre Sicherheit und ihr Land. Heute ist es aber so, dass sich die arabischen Staaten - bis auf den Iran – bei den Westmächten nicht unbeliebt machen wollen und sich vor allem für eigene wirtschaft-liche Fortschritte und einen guten Stand im globalen Wettbewerb interessieren. Westliche Mainstream-medien ihrerseits suggerieren einen Konflikt, der auf beiden etwa Seiten gleich viele Opfer und Zerstörungen anrichte. In Wirklichkeit ist die palästi-nensische Bevölkerung in Gaza sehr viel stärker und existenzieller davon betroffen als die israelische. Israels Behauptung, lediglich terroristische
Ziele anzugreifen, steht in deutlichem Gegensatz zu den vielen zivilen Opfern und Sachschä-
den auf Seiten der Bevölkerung.

Emotionale Bedürfnisse
Der israelisch-deutsche Publizist Moshe Zuckermann ist Professor für Philosophie und Ge-schichte an der Universität Tel Aviv. Geboren in Tel Aviv, Studium in Frankfurt/Main. In seinen Beiträgen «Geschichte, Angst und Ideologie» und «Angst in der israelischen politischen Kultur» im neu erschienen Sammelband «Herrschaft der Angst» (Promedia Verlag Wien) setzt sich Zuckermann mit Fragen rund um den andauernden Konflikt auseinander. «Von je her basierte
die Machtausübung auf einem gewissen Mass von Angst derer, die sich der Herrschaft unter-warfen», hält Zuckermann einleitend und allgemein fest.
Er bezieht sich zunächst auf Thomas Hobbes, englischer Philosoph des 17. Jahrhunderts: Dieser spricht von einer beständigen
Furcht der Menschen, hervorgerufen durch die Gefahr eines (realen) gewaltsamen Todes. Sigmund Freud geht weiter und unterscheidet zwischen der «Signalangst», bei der es um reale Gefahren geht, auf die man sich automatisch einstellt, und um die «neurotische Angst», bei der Interessengruppen dem Menschen imaginäre Gefahren vortäuschen oder bestehende stark überbewerten, um bestimmte politische oder wirtschaftliche Ziele zu erreichen.

«Die Bereitschaft, sich einer solchen Täuschung hinzugeben, erklärt Freud damit, dass sie uneingestandene, von frühen Kindheitserlebnissen herrührende emotionale Bedürfnisse zu befriedigen mag», schreibt Zuckermann. Dabei werden in der Propaganda Bedürfnisse nach Schutz und Massnahmen zur Abwendung der übertrieben dargestellten Gefahr suggeriert, «geweckt und geformt». Die vorgeschlagenen Massnahmen zur Befriedigung der geweckten Bedürfnisse werden als unausweichlich und undiskutabel dargestellt. Und von den Verführten verinnerlicht: «Haben sich die Rationalisierungen von manipulierenden Interesseninhabern und deren ‹Opfern› dermassen ineinander vermengt und verfestigt, dass sie kaum mehr auseinander zu halten sind, kann man von einer übergreifenden Ideologie, einem kollektiven ‹falschen Bewusstsein› (‹nationalem Konsens› etwa), sprechen», so Zuckermann weiter.

Okkupation und Zerstörung
Durch die Geschichte der wiederkehrenden Verfolgungen in der Diaspora vor der Gründung
des zionistischen Staats ergebe sich eine «quasi archaische, traumatische Angst der Massen-vernichtung des europäischen Judentums.» Durch die wiederholten Kriege mit den Nachbarn Israels werde diese Angst weiter genährt, die eine reale Basis im kollektiven jüdischen Ge-dächtnis habe. Zuckermanns Analyse bezieht sich nach seiner eigenen Aussage im Wesent-lichen «nicht auf diese reale Basis der Angst» und er nimmt darin «die Auslösemechanismen besagter Ängste und deren verdinglichte Instrumentalisierung genauer unter die Lupe».

Der Staat Israel präsentiere sich als «die politisch erwirkte Eliminierung dieser jüdischen Angst» und Garant der Sicherheit für jüdische Israeli. «Gleichzeitig aber hält er diese Angst doktrinär aufrecht» als Instrument zur Erreichung politischer Ziele, zum Beispiel der illegitimen Land-nahme. Israel sei seit seiner Gründung ein Ort, an dem «das jüdische Individuum mehr als
sonst auf der Welt der permanenten Bedrohung ausgesetzt ist», räumt Zuckermann ein. Die Existenz des politisch, wirtschaftlich und strategisch im Imperialismus gut eingebetteten Staats aber ist trotz der zeitweise unsicheren Lage nicht gefährdet, und dieser führt seit langem ein brutales Okkupations- und Zerstörungsregime gegenüber der palästinensischen Bevölkerung. Um dieses Regime zu rechtfertigen, schüren Ideolog*innen die Existenzangst der jüdischen Israeli, indem sie behaupten, Israel befinde sich in der Defensive, die arabisch-moslemische
Welt wolle den jüdischen Staat ausradieren und seine Bewohner*innen holocaustmässig
massakrieren – was, sollten sie dies wirklich heute noch anstreben, eindeutig ausserhalb ihrer militärischen, politischen und wirtschaftlichen Möglichkeiten läge.

Verflachung und Banalisierung
Moshe Zuckermann spricht von der «ideologischen Angst-Dialektik, die die israelische politische Kultur durchzieht» und vom «Gemisch aus leichtfertiger Rhetorik und Verallgemeinerungen des ehnischen, kulturellen und biologischen Rassismus». Er blendet auch zurück in die fünfziger Jahre: Gleich nach der Staatsgründung wurde die Verfolgung durch die Nazis öffentlich noch nicht thematisiert oder aufgearbeitet. Die Überlebenden waren froh, dem Horror entronnen zu sein und bauten optimistisch und mit Pioniergeist den neuen Staat auf. Das gute Verhältnis mit Deutschland wollte man durch Schuldzuweisungen nicht belasten. Zum Vorwurf der Diskriminie-rung der Palästinenser installierte sich in der nationalistischen Ideologie die Aussage «Was der Schwache den Starken gegenüber empfindet, kann kein Rassismus sein.» Moshe Zuckermann kommentiert, dieses Argumentations- und Manipulationsmuster von rechten politischen Kreisen vertausche die ursprünglichen Rollen im David-Goliath-Mythos. Er bezeichnet dies auch als «Verflachung und Banalisierung» dessen, was mit dem Holocaust geschehen sei. Und: «Die bisweilen höchst brutale Praktizierung der Okkupation in den 1967 eroberten arabischen Ge-bieten berechtigt am allerwenigsten zur Selbstdarstellung als Opfer.»

Im Golfkrieg 1991, an dem Israel nicht aktiv teilnehmen durfte, trafen sehr wenige irakische Raketen israelische Ziele, der Irak hatte insgesamt 150'000 Tote zu beklagen. Saddam Hussein und Yassir Arafat wurden in der Propaganda mit Hitler gleichgesetzt, ihnen wurde der Versuch unterstellt, die israelische Bevölkerung auszurotten. Die Waffenlieferungen der BRD an den Irak wurden mit Blick in die Vergangenheit angeklagt, die israelischen Waffenlieferungen ans Apart-heidregime in Südafrika und an Militärdiktaturen in Lateinamerika unter den Teppich gekehrt.

Erstveröffentlichung vorwärts Nr. 17/18.21


Herrschaft der Angst - Von der Bedrohung zum Ausnah-mezustand. Promedia-Verlag Wien 2021. Hg: Hannes Hofbauer
und Stefan Kraft

Promo-Text des Verlags:

Die Machtausübung unserer Tage basiert auf mehreren Säulen. Noch immer scheint jene Definition zu gelten, mit der Antonio Gramsci vor bald 100 Jahren den (bürgerlichen) Staat beschrieb: «Hegemonie, ge-panzert mit Zwang». Die jeweiligen Regierenden erkaufen die Akzep-tanz zu ihrer Politik mit materiellen Zugeständ-nissen – so dies ökono-misch möglich ist. Parallel dazu betreiben sie eine Herrschafts-technik, die immer offener zutage tritt: die Erzeugung von Angst.
Dies ermöglicht dem Staat stärkere Befugnisse und lenkt die Aufmerk-samkeit der Menschen auf das je-weilige Drohszenario.

Inhärenter Autoritarismus
Die vermittelten Gefahren haben reale Ausgangspunkte und reichen von Terroranschlägen bis zur Aus-breitung von Viren. Dem Libera-lismus ist das Autoritäre inhärent und er nutzt Bedrohungen, um die Kontrolle des sozialen Lebens auszuweiten und die demokra-tische Teilhabe weiter einzuschrän-ken. Das Motto der Maßnahmen, seien es zunehmende Überwach-ung, Anti-Terrorgesetzgebung, Austeritätsregime, Ausgangssper-ren oder Lockdowns, lautet: Es gibt keine Alternative. Medien transpor-tieren und verstärken diese Bot-schaft und sorgen dafür, dass die von oben verbreitete Angst nach unten in alle gesellschaftlichen Bereiche durchsickert, so dass Menschen dazu übergehen, sich gegenseitig unter Druck zu setzen, um den politischen Vorgaben Folge zu leisten.

Coronapolitik verstärkt Strategie
Der Sammelband «Herrschaft der Angst» setzt sich mit historischen Beispielen und Auswirkungen dieser – im Zuge der sogenannten Corona-Krise verstärkten – Stra-tegie auseinander. Von den Not-standsverordnungen in der BRD der 1970er-Jahre über das Beispiel der israelischen Politik der Furcht bis zur Islamophobie und den Pan-demie-Verordnungen reicht der Bogen der Beiträge.

Dazu werden auch kulturelle und psychologische Folgen der Herr-schaft durch Angst in den Blick genommen, die wiederum in negativer Weise auf die Gesell-schaft zurückwirken.

Ein emanzipatorischer Aufbruch ist dringend notwendig. Dafür ist eine Kritik an der verordneten Angst unerlässlich.

Link: Webseite Promedia-Verlag

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